Emmy Herzog: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Emmy Herzog''' (* [[13. April]] [[1903]] in Ludwigsdorf (polnisch: Charbielin) in Oberschlesien) ist eine Münsteraner Autorin, die 1999, mit 96 Jahren, ihr erstes Buch ''Leben mit Leo. Ein Schicksal im Nationalsozialismus'' verfasste.
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'''Emmy Herzog''' (* [[13. April]] [[1903]] in Ludwigsdorf (polnisch: Charbielin) in Oberschlesien) - † [[30. August]] [[2009]] in Münster) war eine Münsteraner Autorin, die 1999, mit 96 Jahren, ihr erstes Buch ''Leben mit Leo. Ein Schicksal im Nationalsozialismus'' verfasste.
  
Emmy Herzog kam als Emma Bogatzky im oberschlesischen Ludwigsdorf zur Welt und wuchs in Kattowitz auf. Ihre Familie zog 1921 nach Berlin und lebte seit 1922 an der [[Bismarckalle]] in Münster. 1924 lernte sie Leo Steinweg kennen, einen jüdischen Motorradrennfahrer, der in den zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre einige Rennerfolge, vor allem im westdeutschen Raum,  verzeichnen konnte. Die beiden arbeiteten in Leos Geschäft, einer Motorrad- und Fahrradhandlung mit Reparaturwerkstatt.
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==Kindheit und Jugend==
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Emmy Herzog kam als Emmy Bogatzky im oberschlesischen Ludwigsdorf zur Welt und wuchs in Kattowitz auf. Ihre Familie zog 1921 nach Berlin und lebte seit 1922 an der [[Bismarckallee]] in Münster. 1924 lernte sie Leo Steinweg kennen, einen jüdischen Motorradrennfahrer, der in den zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre einige Rennerfolge, vor allem im westdeutschen Raum,  verzeichnen konnte. Die beiden arbeiteten in Leos Geschäft, einer Motorrad- und Fahrradhandlung mit Reparaturwerkstatt.
  
 
==Leben mit Leo==
 
==Leben mit Leo==
 
Emmy und Leo Steinweg heirateten im Juli 1933 standesamtlich, nachdem sie bereits zwei Jahre vor dem Erlass der „Nürnberger Rassegesetze“ gewarnt worden waren, eine Heirat zwischen „Ariern“ und „Nichtariern“ sei demnächst nicht mehr möglich. Das Leben wurde unter dem zunehmenden Druck der nationalsozialistischen Schikanen gegenüber den Juden immer schwieriger. Die Rennfahrerkarriere Leo Steinwegs war zu Ende. Im August 1938 wurde Leo Steinweg von einem Bekannten, der nun bei der SS war, vor den Novemberpogromen 1938 gegen die Juden in Deutschland gewarnt. Leo ''“solle Deutschland am besten binnen acht Tagen verlassen, denn in nächster Zeit würde etwas geschehen“'' [Anm. 1]. Leo Steinweg ging daraufhin am 1. September 1938 in die Niederlande, während Emmy Steinweg sich um die Auflösung des Fahrradgeschäfts und das Eintreiben der Außenstände kümmerte.
 
Emmy und Leo Steinweg heirateten im Juli 1933 standesamtlich, nachdem sie bereits zwei Jahre vor dem Erlass der „Nürnberger Rassegesetze“ gewarnt worden waren, eine Heirat zwischen „Ariern“ und „Nichtariern“ sei demnächst nicht mehr möglich. Das Leben wurde unter dem zunehmenden Druck der nationalsozialistischen Schikanen gegenüber den Juden immer schwieriger. Die Rennfahrerkarriere Leo Steinwegs war zu Ende. Im August 1938 wurde Leo Steinweg von einem Bekannten, der nun bei der SS war, vor den Novemberpogromen 1938 gegen die Juden in Deutschland gewarnt. Leo ''“solle Deutschland am besten binnen acht Tagen verlassen, denn in nächster Zeit würde etwas geschehen“'' [Anm. 1]. Leo Steinweg ging daraufhin am 1. September 1938 in die Niederlande, während Emmy Steinweg sich um die Auflösung des Fahrradgeschäfts und das Eintreiben der Außenstände kümmerte.
  
Am 30. Mai 1939, nach dem Tod ihres Vaters, folgte Emmy Steinweg ihrem emigrierten Mann in die Niederlande.
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Am 30. Mai 1939, nach dem Tod ihres Vaters, folgte Emmy Steinweg ihrem emigrierten Mann in die Niederlande. Die Emigration nach Brasilien, die den beiden im Frühjahr 1940 angeboten wurde, wurde durch den Einmarsch deutscher Truppen in die Niederlande am 9. und 10. Mai 1940 verhindert. In einer kleinen Dachgeschosswohnung in der Utrechter Hartingstraat 18 fanden die Steinwegs einen Unterschlupf, in dem sich Leo auch verstecken konnte, wenn die Nazis "Jagd auf Juden" machten.  
  
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Am 28. August 1942 wurde Leo Steinweg um drei Uhr morgens während einer Razzia in der Wohnung verhaftet und ins Durchgangs-KZ Westerbork in der Provinz Drenthe abtransportiert. Am 16. Oktober gelang es Emmy Steinweg noch, einen Wachtposten des Lagers zu überreden, dass sie Leo für 10 Minuten auf dem Lagergelände - natürlich unter Bewachung - treffen konnte. Am 1. November erhielt sie die Nachricht, ihr Mann sei nach Auschwitz weitertransportiert worden. Von dort erhielt sie noch einige Briefe Leos, für die ein deutscher Soldat seine Absendeadresse zur Verfügung gestellt hatte. Die Hoffnung, dass Leo nach der Befreiung von Auschwitz durch die Sowjetarmee in die Niederlande zurücktransportiert würde, erfüllte sich nicht. Er war einem Arbeitskommando von Häftlingen im KZ Flossenbürg in der Oberpfalz zugeteilt worden. Im Juni 1946 erfuhr Emmy, dass Leo Steinweg bei einem Arbeitseinsatz in Flossenbürg umgekommen ist.
  
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==Leben nach Leo==
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Am 12. Januar 1950 ging Emmy Steinweg nach Deutschland zurück und zog wieder nach Münster, wohin auch ihre nach Oberschlesien evakuierte Mutter zurückgekehrt war. Sie heiratete 1953 Eugen Herzog, einen Österreicher, den sie bereits im niederländischen Exil kennengelernt hatte. Mit ihm betrieb sie einen Tabakwarenladen. Eugen Herzog starb 1973.
  
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Während eines Kuraufenthalts in Oberbayern 1999 begann die Sechsundneunzigjährige, ihre Erinnerungen an die Zeit mit Leo Steinweg aufzuschreiben. Im Jahr darauf erschien "''Leben mit Leo''" in Münster. Mit diesem Buch wurde Emmy Herzog wohl die älteste Debütantin auf dem deutschen Buchmarkt.
  
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2004 drehte der Filmemacher [[Christoph Busch]] unter dem Titel ''Emmy - 100 Jahre nie einen Liebeskummer'' für die Fernsehserie ''Menschen hautnah'' einen 45-minütigen Dokumentarfilm, den das WDR-Fernsehen am 14. April 2004 zum ersten Mal ausstrahlte. 2006 erschien ihr zweites Buch ''Bunte Zeiten'', ein Roman um vier junge Frauen und ihre Erlebnisse und Erfahrungen im Münster der Jahre zwischen dem Ende des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
  
==Einzelnachweise==
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Emmy Herzog lebte in Münster in einem Altenstift und feierte am 13. April 2009 ihren 106. Geburtstag als älteste Bürgerin der Stadt. Am 30. August 2009 ist sie in Münster gestorben.
*[Anm. 1] : ’’Leben mit Leo’’, S. 31
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==Werke==
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* Emmy Herzog, ''Leben mit Leo. Ein Schicksal im Nationalsozialismus'', Münster : Aschendorff 2000; ISBN 3-402-05369-1
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* Emmy Herzog, ''Bunte Zeiten'', Münster : Aschendorff 2006; ISBN 3-402-00427-5
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==Weblink==
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*[http://www.muensterschezeitung.de/lokales/muenster/Muenster-Emmy-Herzog-mit-106-verstorben%3Bart993,657713 Artikel der Münsterschen Zeitung vom 2. September 2009]
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*[http://www.westfaelische-nachrichten.de/lokales/muenster/nachrichten/1021717_Muensters_Grande_Dame_wird_106.html Artikel der "Westfälischen Nachrichten" vom 10. April 2009]
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*[http://www.digitaljournal.com/article/272491 "The Story of a 106-Year Old Author Emmy Herzog" im Digital Journal] (engl.)
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==Einzelnachweis==
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*[Anm. 1] : ''Leben mit Leo'', S. 31
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[[Kategorie:Schriftsteller|Herzog, Emmy]]
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[[Kategorie:Gestorben in Münster|Herzog, Emmy]]

Aktuelle Version vom 13. September 2011, 14:58 Uhr

Emmy Herzog (* 13. April 1903 in Ludwigsdorf (polnisch: Charbielin) in Oberschlesien) - † 30. August 2009 in Münster) war eine Münsteraner Autorin, die 1999, mit 96 Jahren, ihr erstes Buch Leben mit Leo. Ein Schicksal im Nationalsozialismus verfasste.

Kindheit und Jugend

Emmy Herzog kam als Emmy Bogatzky im oberschlesischen Ludwigsdorf zur Welt und wuchs in Kattowitz auf. Ihre Familie zog 1921 nach Berlin und lebte seit 1922 an der Bismarckallee in Münster. 1924 lernte sie Leo Steinweg kennen, einen jüdischen Motorradrennfahrer, der in den zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre einige Rennerfolge, vor allem im westdeutschen Raum, verzeichnen konnte. Die beiden arbeiteten in Leos Geschäft, einer Motorrad- und Fahrradhandlung mit Reparaturwerkstatt.

Leben mit Leo

Emmy und Leo Steinweg heirateten im Juli 1933 standesamtlich, nachdem sie bereits zwei Jahre vor dem Erlass der „Nürnberger Rassegesetze“ gewarnt worden waren, eine Heirat zwischen „Ariern“ und „Nichtariern“ sei demnächst nicht mehr möglich. Das Leben wurde unter dem zunehmenden Druck der nationalsozialistischen Schikanen gegenüber den Juden immer schwieriger. Die Rennfahrerkarriere Leo Steinwegs war zu Ende. Im August 1938 wurde Leo Steinweg von einem Bekannten, der nun bei der SS war, vor den Novemberpogromen 1938 gegen die Juden in Deutschland gewarnt. Leo “solle Deutschland am besten binnen acht Tagen verlassen, denn in nächster Zeit würde etwas geschehen“ [Anm. 1]. Leo Steinweg ging daraufhin am 1. September 1938 in die Niederlande, während Emmy Steinweg sich um die Auflösung des Fahrradgeschäfts und das Eintreiben der Außenstände kümmerte.

Am 30. Mai 1939, nach dem Tod ihres Vaters, folgte Emmy Steinweg ihrem emigrierten Mann in die Niederlande. Die Emigration nach Brasilien, die den beiden im Frühjahr 1940 angeboten wurde, wurde durch den Einmarsch deutscher Truppen in die Niederlande am 9. und 10. Mai 1940 verhindert. In einer kleinen Dachgeschosswohnung in der Utrechter Hartingstraat 18 fanden die Steinwegs einen Unterschlupf, in dem sich Leo auch verstecken konnte, wenn die Nazis "Jagd auf Juden" machten.

Am 28. August 1942 wurde Leo Steinweg um drei Uhr morgens während einer Razzia in der Wohnung verhaftet und ins Durchgangs-KZ Westerbork in der Provinz Drenthe abtransportiert. Am 16. Oktober gelang es Emmy Steinweg noch, einen Wachtposten des Lagers zu überreden, dass sie Leo für 10 Minuten auf dem Lagergelände - natürlich unter Bewachung - treffen konnte. Am 1. November erhielt sie die Nachricht, ihr Mann sei nach Auschwitz weitertransportiert worden. Von dort erhielt sie noch einige Briefe Leos, für die ein deutscher Soldat seine Absendeadresse zur Verfügung gestellt hatte. Die Hoffnung, dass Leo nach der Befreiung von Auschwitz durch die Sowjetarmee in die Niederlande zurücktransportiert würde, erfüllte sich nicht. Er war einem Arbeitskommando von Häftlingen im KZ Flossenbürg in der Oberpfalz zugeteilt worden. Im Juni 1946 erfuhr Emmy, dass Leo Steinweg bei einem Arbeitseinsatz in Flossenbürg umgekommen ist.

Leben nach Leo

Am 12. Januar 1950 ging Emmy Steinweg nach Deutschland zurück und zog wieder nach Münster, wohin auch ihre nach Oberschlesien evakuierte Mutter zurückgekehrt war. Sie heiratete 1953 Eugen Herzog, einen Österreicher, den sie bereits im niederländischen Exil kennengelernt hatte. Mit ihm betrieb sie einen Tabakwarenladen. Eugen Herzog starb 1973.

Während eines Kuraufenthalts in Oberbayern 1999 begann die Sechsundneunzigjährige, ihre Erinnerungen an die Zeit mit Leo Steinweg aufzuschreiben. Im Jahr darauf erschien "Leben mit Leo" in Münster. Mit diesem Buch wurde Emmy Herzog wohl die älteste Debütantin auf dem deutschen Buchmarkt.

2004 drehte der Filmemacher Christoph Busch unter dem Titel Emmy - 100 Jahre nie einen Liebeskummer für die Fernsehserie Menschen hautnah einen 45-minütigen Dokumentarfilm, den das WDR-Fernsehen am 14. April 2004 zum ersten Mal ausstrahlte. 2006 erschien ihr zweites Buch Bunte Zeiten, ein Roman um vier junge Frauen und ihre Erlebnisse und Erfahrungen im Münster der Jahre zwischen dem Ende des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Emmy Herzog lebte in Münster in einem Altenstift und feierte am 13. April 2009 ihren 106. Geburtstag als älteste Bürgerin der Stadt. Am 30. August 2009 ist sie in Münster gestorben.

Werke

  • Emmy Herzog, Leben mit Leo. Ein Schicksal im Nationalsozialismus, Münster : Aschendorff 2000; ISBN 3-402-05369-1
  • Emmy Herzog, Bunte Zeiten, Münster : Aschendorff 2006; ISBN 3-402-00427-5


Weblink

Einzelnachweis

  • [Anm. 1] : Leben mit Leo, S. 31