Fraterherren

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Die Brüder vom gemeinsamen Leben, Ordenskürzel CRVC für Canonici Regulares Sancti Augustini Fratrum a Vita Communi, ursprünglich niederländisch Broeders des gemeenen levens, auch Fraterherren (von lateinisch frater „Bruder“) genannt, waren eine am Ende des 14. Jahrhunderts entstandene Ordensgemeinschaft. Regional verbreitet waren die Bezeichnungen Kogel- oder Kugelherren beziehungsweise Kugelhaus für ihre Stiftsgebäude. Diese Bezeichnungen waren höchstwahrscheinlich von ihrer Gugel genannten Kopfbedeckung abgeleitet. In Magdeburg wurden sie Nullbrüder bzw. Lullbrüder genannt. Das weibliche Gegenstück waren die Schwestern vom gemeinsamen Leben.

Geschichte

Entstehung

Die Brüderschaft war eine am Ende des 14. Jahrhunderts in Deventer um Geert Groote entstandene religiöse Gruppe, deren Mitglieder keine Mönchsgelübde ablegten, sich aber in kleinen klosterähnlichen Gemeinschaften (Kloster Windesheim bei Zwolle, siehe Windesheimer Chorherren) oder sogenannten Brüder- oder Fraterhäusern zusammenschlossen. Die erste Niederlassung der Fraterherren in Deutschland war das Fraterhaus Springborn in Münster (Westfalen).

Sie predigten eine praktische Frömmigkeit und galten als die wichtigsten Vertreter der Devotio moderna. Ihr Einfluss auf das Geistesleben in den Niederlanden und Nordwestdeutschland war bis zur Reformation bedeutend. Diesen Einfluss übten sie u. a. durch ihre umfangreiche Buchherstellung aus, mit der sie auch einen Teil ihres Lebensunterhalts bestritten. Sie trugen dabei zunächst zur Verbreitung von Handschriften bei, die sie in großer Zahl kopierten, um dann sehr früh auch den Buchdruck zu nutzen. 1468 richteten sie im Kloster Marienthal in Geisenheim die erste Klosterdruckerei überhaupt ein. Sie wurden daher im Volksmund auch Brüder von der Feder genannt. Das Fraterhaus in Rostock, auch als Michaeliskloster bekannt, unterhielt eine der wichtigsten Buchdruckereien im Ostseeraum.

Heinrich von Ahaus hat zur Gründung verschiedener Brüder- und Schwesterngemeinschaften insbesondere im niederdeutschen Raum beigetragen. Ein bedeutender Bruder vom gemeinsamen Leben war Georgius Macropedius. Auch der Theologe Thomas von Kempen (Thomas a Kempis) kann zu dieser Gruppe gerechnet werden. Gabriel Biel, Domprediger in Mainz und später Rektor der Universität Tübingen, war Vorsteher des Brüderhauses in Butzbach und veranlasste die Gründung des Kugelherren-Stifts Königstein im Taunus 1446, das bis 1540 bestand.

Niederlassungen

Zu den nachweislich zeitweise existenten Frater-Häusern gehörten (Tochtergründungen in Klammern):

  • Münster/Westf. 1400/1408–1772 (Osnabrück 1417, Wesel 1435, Rostock 1462, Marburg 1477)
  • Osterberg [Lotte/Westfalen] 1410–1427
  • Köln 1416–1802 (Marienthal 1464, Königstein im Taunus 1467)
  • Osnabrück 1417–vor 1426 (Herford 1427)
  • Herford 1427–1802 (Hildesheim 1440)
  • Wesel 1436–1808
  • Hildesheim 1440–1604 (Kassel 1455, Magdeburg 1482, Berlikum/Friesland 1483)
  • Kassel 1454–1527
  • Rostock 1462–1559
  • Marienthal [Geisenheim] 1464/1465–1554 (Butzbach 1468, Wolf 1478)
  • Königstein im Taunus 1467–1540
  • Emmerich 1467–1811 (gegründet von Deventer aus)
  • Butzbach 1469–1555 (Urach 1477, Wolf 1478)
  • Marburg 1476–1527
  • Kulm [Culm a. d. Weichsel, polnisch Chełmno] 1473–1554 (gegründet von Zwolle aus)
  • Urach 1477–1517 (Herrenberg 1481, Tübingen 1482, Dettingen 1482, Tachenhausen 1486)
  • Kloster Wolf [Traben-Trarbach] 1478–1560 (Trier 1499)
  • Herrenberg 1481–1517
  • Tübingen 1482–1517
  • Dettingen a. d. Erms 1482–1517
  • Magdeburg 1482–1535
  • Tachenhausen [Oberboihingen] 1486–1517
  • Einsiedel [Kirchentellinsfurt, St. Peter im Schönbuch] 1491–1538
  • Trier 1499–1569
  • Merseburg 1503–1544

Niedergang im 16. Jahrhundert

Im Laufe der Reformation und endgültig dann im 17. Jahrhundert starben diese Gemeinschaften aus. Eine einzigartige Sonderentwicklung nahm das Fraterhaus Herford durch direktes Eingreifen Martin Luthers.

In Marburg ist noch der umfangreiche Komplex der Kugelherren aus spätgotischem Kugelhaus, das heute die Völkerkundliche Sammlung der Universität enthält, und der Kugelkirche erhalten. Einen Altar in dem zugehörigen Krankenhaus (infirmaria) weihte um 1500 der Erfurter Weihbischof Johannes Bonemilch von Laasphe. 1527 ging das Haus, in dem auch eine Lateinschule untergebracht war, an die Universität Marburg über, nachdem Landgraf Philipp die Niederlassung und die Schule, in der er selbst Schüler gewesen war, aufgelöst hatte.

Neuanfänge

Die Beschäftigung mit dem Lebensstil dieser Laienkommunitäten war Anfang des 20. Jahrhunderts wegweisend für Entstehung einer gleichnamigen Bruderschaft vom gemeinsamen Leben in der Schweiz, die erste der neuen Kommunitäten, die in den Kirchen der Reformation klösterliche Lebensformen wiederbelebten. Gründer waren Gotthilf Haug (1875–1951), Jakob Schelker-Kellenberger (1868–1954) und Lina Schelker (1861–1936).

Seit 1975 gibt es in Deutschland wieder eine Kongregation Brüder vom Gemeinsamen Leben, die Mitglied der Konföderation der Augustiner-Chorherren (CRVC) ist. Generalsuperior der Gemeinschaft, die ihren Hauptsitz im Kloster Maria Bronnen im Landkreis Waldshut hat, ist Richard Lehmann-Dronke. Seit 2000 wirkt die Gemeinschaft im Marienwallfahrtsort Waghäusel in Nordbaden.

Siehe auch

Literatur

  • Wolfgang Leesch, Ernest Persoons, Anton G. Weiler (Hrsg.): Monasticon Fratrum Vitae Communis, Band 2: Deutschland, Archives et Bibliothèques de Belgique, Brüssel 1979 (= Archives et Bibliothèques de Belgique / Archief- en Bibliotheekwezen in Belgie, Extranummer 19).
  • Franz-Josef Heyen: Die Brüder vom Gemeinsamen Leben in St. German. In: Neues Trierisches Jahrbuch. Verein Trierisch im Selbstverlag, 1962, S. 16.
  • E. Barnikol: Studien zur Geschichte der Brüder vom gemeinsamen Leben. Die erste Periode der deutschen Brüderbewegung: Die Zeit Heinrichs von Ahaus. Beitrag zur Entwicklung und Organisation des religiösen Lebens auf deutschem Boden im ausgehenden Mittelalter. Tübingen, Mohr 1917 (Ergänzungs-Heft zur „Zeitschrift für Theologie und Kirche“, 1917).
  • Otto Meyer: Die Brüder des gemeinsamen Lebens in Württemberg 1477–1517. In: „Blätter für württembergische Kirchengeschichte“, NF 17, 1913, S. 97–138 (Digitalisat) und NF 18, 1914, S. 142–160 (Digitalisat).

Weblinks