Schwester Laudeberta

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Schwester Laudeberta (* 18. Mai 1887 in Groenlo (Niederlande) als Johanna van Hal - † 6. September 1971 in Münster) war eine Ordensschwester der Barmherzigen Schwester von der Allerseeligsten Jungfrau und schmerzhaften Mutter Maria (Clemensschwestern) in Münster. Ihre Informationen über die „Euthanasie"-„Aktion T4WP“ der Nationalsozialisten veranlassten den Bischof Clemens August Graf von Galen zu seinen bekannten Predigten 1941 in der St.-Lamberti-Kirche.

Lebenslauf

Schwester Laudeberta wurde als Johanna van Hal in Groenlo geboren. Zu ihrer Kindheit und Jugend ist kaum etwas bekannt. Sie war die jüngste von 6 Kinder. Ihr Vater Hermanus Grades van Hal, Schreiner, war wohl ein Invalide, der noch zu ihren Lebzeiten verstarb; von ihrer Mutter ist nur bekannt, dass sie Berendina van Hal, geb. ter Maat hieß. Ihre Eltern hatten 1872 in Groenlo geheiratet.

Vor ihrem Eintritt ins Kloster der Clemensschwestern zu Münster wohnte sie in Bocholt und war dort in einem Krankenhaus tätig. In welchem Krankenhaus ist nicht bekannt, jedoch hat sie im Agnes-Hospital wohl die Clemensschwestern kennengelernt. Am 4. Mai 1910, im Alter von 22 Jahren, trat sie den Clemensschwestern zu Münster bei. Die meiste Zeit war sie in der westfälischen Provinzheilanstalt Marienthal tätig, deren Vorsteherin sie sieben Jahre lang war. In Marienthal waren seit 1900 rund 100 Clemensschwestern in der Krankenpflege und den Wirtschaftsbetrieben tätig.

Am 6. September 1971 verstarb sie im Alter von 84 Jahren und wurde am 9. September desselben Jahres auf dem Zentralfriedhof zu Münster beigesetzt.


Historischer Kontext - Aktion T4

Als Pflegeschwester in einer psychiatrischen Einrichtung, der Provinzheilanstalt Marienthal, war Schwester Laudeberta unmittelbar mit den Euthanasie-Verbrechen des Nationalsozialismus konfrontiert. Unter dem Decknamen Aktion T4 lief hier wie auch in anderen Städten des Deutschen Reiches das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten. Euthanasie ist ein griechisches Wort und heißt wörtlich so viel wie „der gute Tod". Der Begriff ist also ursprünglich ein Synonym für Sterbehilfe, die eine „Erleichterung des Endes eines mit Sicherheit auf qualvolle Weise verlöschenden Menschenlebens, wenn mit ihr keine Abkürzung des Lebens verbunden ist“ (dtv-Lexikon Band 5. S. 292. München 1979) bedeutet. Die Nationalsozialisten wandten die Euthanasie an, um - in ihren Augen - lebensunwerte Menschen zu vernichten. Auf der Grundlage ihrer Ideologie waren dies neben Juden, Menschen anderer Hautfarbe, Menschen anderer politischer Ansichten, auch körperlich und geistig Behinderte, die die Nazis mit der Aktion T4 vernichteten. Beschönigend verwandten sie hierbei den Begriff der Euthanasie. Im Folgenden soll daher nur von der Aktion T4 die Rede sein, da diese der eigentlichen Bedeutung der Euthanasie nicht entspricht. Die Nationalsozialisten verkürzten das Leben derer, die in ihren Augen „lebensunwert“ sind, obschon sie noch lange hätten leben können - auch mit ihrer Behinderung.

Die katholische Kirche lehnt die aktive Sterbehilfe bis heute ab, da sich der Mensch nicht dazu erheben dürfe, über Leben und Tod zu entscheidenLink-Text.


Die Umsetzung der Aktion T4 in Münster

Auch in der Heilanstalt Marienthal, die nahe der Stadt Münster liegt, wurde die Aktion T4 systematisch ausgeführt. Im Sommer 1941 wurden etwa 79 Patienten getötet und deportiert. In einer zweiten Phase wurden abermals rund 465 Menschen abtransportiert; den Krieg überlebt haben hiervon lediglich 40. Die Familien, die ihre Angehörigen in solche Heilanstalten gaben, hatten die - von der nationalsozialistischen Propaganda zusätzlich geschürte - Hoffnung, dass ihren Verwandten geholfen wird und sie unter Umständen sogar geheilt werden. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Patienten wurden ausgehungert, vergiftet oder vergast. In den häufigsten Fällen durften sie ihre Verwandten nicht mehr wiedersehen. In Marienthal selbst wurden die Patienten nicht vergast, dies geschah in anderen als „Heilanstalten“ getarnten Häusern (z. B. Hadamar in Hessen). Jedoch entschieden die Ärzte in Marienthal ebenfalls über Leben und Tod der Patienten, lag doch bei ihnen die Entscheidung, ob die Patienten - angeblich um ihrer Heilung willen - in solche Vernichtungsanstalten wie Hadamar deportiert werden sollten. Als Todesursache des Patienten wurde immer ein natürlicher Tod vorgetäuscht.

Selbstredend erfolgte die Verlegung der Patienten immer unter größter Geheimhaltung, damit nicht das geringste Detail an die Öffentlichkeit geriet und um so die Aktion T4 aufrecht zu erhalten. In große Gefahr begaben sich daher jene, die Informationen über die Aktion T4 verbreiteten oder gar an die Öffentlichkeit gingen, mit dem Schlimmsten rechnen.

Allerdings leistete Marienthal von Beginn an Widerstand, indem sie wenige Meldebögen an die Provinzialverwaltung schickten. Erst nach einer Anmahnung wuchs die Zahl der Bögen auf 279. Im Vergleich mit anderen Anstalten fiel Marienthal eindeutig aus dem Rahmen. Doch auch einzelne Personen leisteten persönlichen Widerstand, wie zum Beispiel der Pfarrer H. Lackmann, der erfolgreich dafür kämpfte, seine Patienten weiterhin seelsorgerisch zu versorgen.


Widerstand der Schwester Laudeberta

Die persönliche Situation der Schwester Laudeberta war eine sehr schwierige: Sie musste sich in einem inneren Zwiespalt befunden haben. Täglich musste sie mitansehen, wie den Patienten gegen jeden ethischen, moralischen und christlichen Grundsatz an Ort und Stelle langsam, aber stetig in den Tod getrieben wurden oder deportiert wurden, im Wissen, dass der Transport in den Tod führte. Auf der einen Seite wollten die Schwestern auf der einen Seite ihren christlichen Grundsätzen von Nächstenliebe folgen, doch auf der anderen Seite waren sie Untertanen einer Diktatur, die bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem Staat verlangte.

Doch Schwester Laudeberta beschloss, nicht untätig zu bleiben und etwas gegen die menschenverachtenden Zustände in Marienthal zu unternehmen, auch wenn sie nur in der niedrigen Position der Ordensschwester war und ihr Leben für die Patienten riskierte. So handelte sie bereits, als sie vom ersten Krankentransport erfuhr: Sie ging zu dem damaligen Bischof von Galen und erzählte ihm davon. Dies soll zu seiner ersten Predigt vom 13. Juli 1941 geführt haben. Sie versorgte den Bischof über das Jahr 1941 immer weiter mit Materialien über die Geschehnisse in Marienthal. Im Schutz der Dunkelheit besuchte sie den Bischof, denn jedes Ein- und Ausgehen wurde von Pförtnern registriert. Gemeinsam mit einer anderen Ordensschwester namens Recordata ging sie ebenfalls am Vorabend der dritten Predigt von Galens zum Bischof und setzte ihn in Kenntnis über weitere Deportationsmaßnahmen. Diese veranlassten ihn, seine berühmte „Euthanasie"-Predigt vom 3. August 1941 zu verfassen und zu halten. Seine Predigt zeigte Wirkung: Der öffentliche Protest des Bischofs führte in der Bevölkerung zu erheblicher Unruhe. Wenige Wochen später beschloss das NS-Regime, die Maßnahmen der Aktion T4 offiziell einzustellen; inoffiziell wurden sie allerdings fortgeführt. Letztendlich kann der Protest des Bischofs gegen die Aktion T4 als Folge des „stillen Widerstandes“ der Schwester Laudeberta gesehen werden. Die Ordensschwester beließ es jedoch nicht nur bei diesem „passiven“ Widerstand, sondern ging auch in Marienthal „aktiv“ gegen die Maßnahmen der Nationalsozialisten vor. Die weltliche Schwester Else arbeitete als Reinigungskraft für einen Arzt, der für die Deportationslisten zuständig war. Bei der Arbeit fiel ihr die Deportationsliste in die Hände, auf der jene verzeichnet waren, denen ein Todestransport bevorstand. Sie schrieb die Liste ab und händigte sie Schwester Laudberta aus, die umgehend handelte: Denjenigen Verwandten, die ihre Angehörigen besuchten, legte sie nahe, den Patienten wieder mit heim zu nehmen, anstatt ihn in der Anstalt zu lassen. Diesmal riskierte sie ihr Dasein nicht im Schutz der Dunkelheit im Schutz des Bischofs, sondern am hellichten Tage, möglicherweise unter Beobachtung brauner Spitzel.

Erinnerung in der Gegenwart

Leider weiß heute kaum einer etwas von den mehr als heldenhaften Taten der Ordensschwester. Über die Grenzen Münsters hinaus ist sie nicht bekannt geworden. Auch in der Stadt selbst gibt es weder eine Gedenktafel noch einen Straßennamen, die die Erinnerung an diese mutige Frau wachhalten könnten. Erinnert wurde lediglich in einer Gedenkfeier am 7. September 1984 und in einem Gottesdienst im Januar 2007, in denen der Opfer der Aktion T4 gedacht wurde und in diesem Zusammenhang an Schwester Laudeberta erinnert wurde. In der Berichterstattung von letzterer Gedenkfeier wurde auch Schwester Laudeberta erwähnt (MZ vom 25.01.2007). In einer Ausgabe der Zeitung Auf roter Erde wurde sie ebenfalls beiläufig erwähnt. Dabei ist es dringend notwendig, die Erinnerung an diese mutige Frau wachzuhalten. Denn nicht alle Menschen haben gehandelt wie sie und hätten es wahrscheinlich auch nicht getan. Die Erinnerung an diese Frau, symbolisch für den Widerstand des ganzen Ordens, muss festgehalten werden, da sie trotz der täglichen Schikanen und menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten ihren christlichen Grundsätzen treu blieb und sich für die ihrer Hilfe Bedürftigen einsetzte.